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Freikorps und Schlageter


Angesichts einer regelrechten Kampagne von Leserbriefschreibern aus der rechten Szene in der Elbe-Jeetzel-Zeitung (EJZ), in die auch der ehemalige Archivar der Stadt Lüchow, Dr. Karl Kowalewski, mit einem rechte Positionen unterstützenden Leserbrief eingegriffen hat, nimmt der Vorstand des HALD wie folgt Stellung:

Stellungnahme des HALD zur Diskussion um Albert Leo Schlageter und die Freikorps

Seit fast einem Jahr wird vornehmlich in den Leserbriefspalten der EJZ eine Debatte über den sog. "nationalen Märtyrer" Albert Leo Schlageter und die Rolle der Freikoprs während der Weimarer Republik geführt. Die Auseinandersetzung wurde von einer Reihe rechtsnationaler bis rechtsradikaler Personen begonnen, die einerseits den Heldenkult um Schlageter weiter pflegen, andererseits die Mannschaften der Freikorps zu ordnungsliebenden Freiheitskämpfern umdeuten wollen.

Tatsächlich hat die neuere Geschichtswissenschaft sowohl die Bedeutung, Rolle und Funktion der Freikorps, als auch die Biografie Schlageters eindeutig geklärt. Es gibt keinen ernstzunehmenden Historiker, der Zweifel daran hätte, dass
1) die Freikorps nach dem Kriegsende 1918 eine Doppelfunktion übernahmen, nämlich nach außen die Ostgrenze des Reiches zu sichern, nach innen die soziale Revolution der Arbeiterschaft niederzuschlagen,
2) die überwiegende Mehrheit der Freikorps antidemokratisch und antirepublikanisch eingestellt war (siehe z.B. die Beteiligung der "Brigade Ehrhardt" am Kapp-Putsch 1920),
3) aus ihnen zahlreiche militante rechtsradikale Vereinigungen der 1920er Jahre hervorgingen, u.a. die "Organisation Consul", auf deren Konto Hunderte von politischen Morden gingen (am bekanntesten sind die Morde an Reichsfinanzminister Erzberger 1921 und an Außenminister Rathenau 1922).

Zahlreiche Freikorps vertraten einen militanten, radikalvölkischen Antisemitismus und verwendeten bereits das Hakenkreuz als Symbol "arischer Reinheit" (auch die Brigade Loewenfeld, der der Nationalsozialist Schlageter angehörte). Sie bzw. ihre Folgeorganisationen waren mit einer Vielzahl rechtsradikaler Bünde und Organisationen verfilzt, die als Kaderschmieden für spätere NS-Größen dienten - aus ihnen gingen Rudolf Hess, Hans Frank, Alfred Rosenberg, Julius Streicher, Reinhard Heydrich u.v.a. hervor.

(Belege bei: Hans Mommsen, Die verspielte Freiheit 1918-1933, Berlin 1989, S. 49-51, 60, 90f., 165-170; Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Band 1, München 2000, 4. Aufl. 2002, S. 390, 411, 415, 428ff.; Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914-1949, Band 4, München 2003, S. 384-390 - alle Bände sind in der Samtgemeindebücherei Lüchow ausleihbar.)

Es ist schlimm genug, wenn alte oder neue Rechte historische Tatsachen verdrehen und Republikfeinde und Mörderbanden zu Freiheitshelden verklären, es ist allerdings ein Skandal, wenn der ehemalige Archivar der Stadt Lüchow, Dr. Karl Kowalewski, diesen Auffassungen beipflichtet. Für die interessierte Öffentlichkeit ist seine politische Position indessen nicht neu. Bereits in Kowalewskis Schrift zum 100jährigen Bestehen des Landkreises Lüchow-Dannenberg (o.O.u.J. [1985]) unterscheidet sich seine Wertung des Beginns der Weimarer Republik nur wenig vom Urteil der Nationalsozialisten über die `Novemberverbrecher´, nur dass bei ihm der Dolchstoß durch den "Fangschuß" von außen ersetzt wird (S. 19). Dass der "Machtergreifung" Hitlers Terror vorausging, findet keine Erwähnung, stattdessen ergab sie "sich folgerichtig und unvermeidlich aus den fundamentalen Spielregeln des Parlamentarismus" (S. 30). Geändert hatte sich für ihn unter der "neuen Ordnung" ohnehin wenig, "denn an die Stelle des Pluralismus der Parteien ... trat nun ein neuer Pluralismus, bestehend aus den Organisationen der NSDAP und den zahlreichen Standesorganisationen, die alle ihre Interessen im Rahmen ihrer Mitwirkungsrechte durchzusetzen versuchten (S. 32). Kowalewski findet daher nur Lob für die "neue Zeit": "Es ist wohl nie vorher und nie hinterher wieder so viel marschiert, gesungen und gefeiert worden wie in diesen wenigen Friedensjahren von 1933 bis 1939" (S. 39).

Mit keinem Wort werden die Unterdrückung von Minderheiten, politische Verfolgungen, Konzentrationslager, Judenvernichtung oder die den Krieg suchende Politik Hitlers erwähnt. Von "Brutalität" und "Terror" ist bei Kowalewski nur in Bezug auf die Alliierten die Rede: ein "brutaler Siegerakt" (S. 46) hatte die Zonengrenze geschaffen und die Menschen von ihrem natürlichen Hinterland abgeschnitten, "Amerikaischer Terrorangriff auf Dannenberg im Februar 1945" steht unter einem Bild vom zerstörten Dannenberger Marktplatz (S. 40).

Als Beispiel für eine "nationale bis nationalistische Heimatgeschichte", die "sich bis zur Verharmlosung der NS-Zeit ... versteigt", fand die Schrift unrühmliche Erwähnung in dem von C.-H. Hauptmeyer herausgegebenem Band "Landesgeschichte heute" (Göttingen 1987, S. 87). Prof. C.-H. Hauptmeyer (Universität Hannover) beurteilt die Arbeitsweise Kowalewskis wie folgt: "dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit wird Kowalewski ebensowenig gerecht wie dem der - im übrigen nie erreichbaren - Objektivität. ... Kowalewski begeht den schwerwiegenden methodischen Fehler, die von ihm herangezogenen Quellen  als `wahr´zu nehmen und vergisst die quellenkritische Pflicht des Historikers zu fragen, aus welchem Interesse heraus Quellen entstehen. ... Dieser methodische Mangel ist eng verbunden mit einer tendenziösen, keine differenzierenden Aussagen gestattenden Materialauswahl. ... Kowalewski hat offenbar - das zeigt die Literaturliste (S. 78) - kein neueres Werk, das sich um eine ausgewogene Interpretation der Weimarer Republik und des `Dritten Reiches´bemüht, gelesen. ... Unverantwortlich ist das Ergebnis, nämlich eine historisch-politische Tendenzschrift, die im Mantel wissenschaftlicher Neutralität auftritt."

Die Leserbriefe Kowalewskis zeigen, dass er seine Auffassungen nicht grundsätzlich geändert hat. Auch seine 2008 erschienene Schrift zur "Geschichte Lüchows" ist durch die gleichen Mängel an Wissenschaftlichkeit gekennzeichnet. Weiterhin hält Kowalewski daran fest, dass die "Machtergreifung" Hitlers verfassungsgemäß war (ebd. S. 241-243 und S. 336 Anmerkung 33), er unterschlägt die antidemokratischen und völkisch-radikalen Tendenzen im Wendland (S. 240) und verharmlost, ja feiert die Rolle der SA (S. 249-252, 255). Neuere Literatur zur Weimarer Republik und der NS-Zeit fehlt nach wie vor. Nicht einmal die auf die Region bezogene Literatur wird zitiert, geschweige denn benutzt.

Es ist unverständlich, dass Kowalewskis politische Position in der städtischen Öffentlichkeit mit Schweigen übergangen wird. Angesichts der schwerwiegenden wissenschaftlichen und methodischen Defizite können die genannten Schriften den Schulen keinesfalls zur Lektüre empfohlen werden.

(Siehe zu der Debatte auch den Beitrag von Axel Kahrs über die Stichwörter zum Rechtsextremismus im Wendland-Lexikon.)


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